1968 flüchtet der sogenannte Pittener Sparkassenräuber aus dem Gefangenenhaus des Kreisgerichts Wiener Neustadt. Der 25-Jährige lockert mit einer Schraube seines Bettes einen senkrecht montierten Gitterstab des Zellenfensters. Um sich Zeit zu verschaffen, zieht er sein Gewand aus, stopft es mit Stroh aus und legt die „Puppe“ ins Bett. Zwei Wochen lang liefert er sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Gefasst wird er schließlich in einem Zug bei St. Pölten. Der Fall geht in die österreichische Kriminalgeschichte ein – nicht wegen des Fluchtversuchs, sondern weil bei der Tatrekonstruktion in der Bank erstmals ein Videorecorder eingesetzt wird.
Im November 1971 spielen sich im Gefängnis in Krems-Stein dramatische Szenen ab. Drei Häftlinge nehmen im Gefängnis vier Geiseln. In einem Brief fordern sie unter anderem die Bereitstellung eines Fluchtfahrzeuges und 100.000 Schilling in kleinen Noten. Das Geld bekommen sie nicht, das Auto schon. Dass man die Häftlinge aus dem Gefängnis gelassen hat, spaltet die Meinungen. Zwei Männer werden wenige Tage nach der Flucht in Wien festgenommen, der dritte erst nach zwei Wochen. Er hatte sich in der Wohnung der Mutter eines Mithäftlings aus Stein versteckt. Die alte Frau dürfte so eingeschüchtert gewesen sein, dass sie nicht die Polizei informierte.
Flucht durch 40 Zentimeter breiten Kanalschacht
1986 ist erneut die Justizanstalt Stein der Schauplatz einer spektakulären Flucht. Vier Häftlinge schaben mit einem Eisenstab ein Loch in die Mauer, klettern durch das Loch in einen schräg darunterliegenden Geräteraum und gelangen von dort in einen Innenhof, der damals als ausbruchssicher galt. Die Männer treten den Gegenbeweis an. Sie klettern durch einen nur 40 Zentimeter breiten Abwasserschacht und kommen auf der anderen Seite der Gefängnismauer bei einem Kanaldeckel heraus. Experten hatten das bis zu diesem Zeitpunkt für unmöglich gehalten.
Äußerst waghalsig ist eine Aktion zweier Häftlinge im Juli 1987 einmal mehr in der Justizanstalt Krems-Stein. Sie klettern mit einem selbstgebastelten Haken vom ersten Stock in den zweiten und von dort weiter auf das Dach, hanteln sich 90 Meter die Dachrinne entlang und seilen sich an der Südfront ab. Ein Wachebeamter entdeckt sie zwar, gibt aber nur einen Warnschuss und keinen gezielten Schuss ab, der für die Männer wohl den Absturz und Tod bedeutet hätte.
„Pumpgun-Ronnie“ springt aus dem Fenster
1988 findet eine der größten Fahndungen Österreichs statt. Der Bankräuber und Mörder Johann Kastenberger – er hatte bei den Überfällen eine Ronald-Reagan-Maske getragen und wurde von den Medien daher Pumpgun-Ronnie genannt – springt im Vernehmungszimmer in Wien aus dem Fenster, raubt mehrere Autos und bleibt tagelang verschwunden. Der Fall endet mit einem Showdown auf der Westautobahn. Kastenberger begeht Suizid.
2004 nutzt ein 19-jähriger Häftling einen Spitalsbesuch in Neunkirchen zur Flucht. Er lässt sich wegen einer Verletzung an der Hand behandeln, als er plötzlich die Ärztin mit einem Taschenmesser bedroht und sie und weitere Personen als Geisel nimmt. Nach langem Hin und Her entscheidet er sich, zu flüchten, zwingt eine Pkw-Lenkerin am Parkplatz des Spitals, ihn zur SCS zu fahren und will dort offenbar in der Menschenmenge untertauchen. Weil bereits Fahndungsfotos kursieren, werden Privatdetektive auf ihn aufmerksam. Der Mann wird von Beamten in Zivil in einem Elektrogeschäft festgenommen.
Bis in die Hafenstadt Alicante im Südosten Spaniens schafft es 2005 ein Stein-Häftling, der während einer Behandlung im Krankenhaus Lainz in Wien flüchtet. Er soll seinem Bewacher K.-o.-Tropfen in den Kaffee gemischt haben und gemeinsam mit seiner Ehefrau, die ihn im Spital besucht hat, geflüchtet sein. An seinem 55. Geburtstag wird er von spanischen Ermittlern in einem Appartement festgenommen.
Festnahme beim Kebabstand
2009 endet die Flucht für einen Häftling aus der Justizanstalt Josefstadt in Wien bei einem Kebabstand in Gaming (Bezirk Scheibbs). Der Mann ist bei Elektrikerarbeiten außerhalb des Gefängnisses geflohen. Zwei Stunden lang soll er sich im Kebabstand aufgehalten haben. Als ein Polizeiauto eintrifft, versucht er noch, in einen Wald zu flüchten, wird aber gestoppt.
Über ein Loch in der Toilette der Gefängniswäscherei gelingt 2010 vier Häftlingen in der Justizanstalt Hirtenberg (Bezirk Baden) die Flucht. Die Folge sind bauliche Maßnahmen. Die Nassräume werden woanders hin verlegt.
In Wiener Neustadt seilen sich 2014 zwei Häftlinge mit einem Gartenschlauch aus der Beamtenküche im ersten Stock ab. Sie springen aus fünf Metern Höhe in ein Schotterbett und können entkommen. Der Schlauch stammte aus einem Bad für Bedienstete.
2015 entkommt ein 35-jähriger Stein-Häftling im Landesklinikum Mauer durch ein WC-Fenster. Der Mann, der eine fünfjährige Haftstrafe absitzen hätte sollen, hebelt die Vergitterung aus. Ermittler gehen davon aus, dass er Helfer gehabt hat. Der Außenzaun des Gebäudes und der Maschendrahtzaun, der vor dem Fenster angebracht ist, sollen schon zuvor aufgeschnitten worden sein.
Die jüngsten Vorfälle im November 2023 sind bei Spitalsbesuchen passiert. Im Landesklinikum Wiener Neustadt flüchtet ein 16-Jähriger aus der Justizanstalt Gerasdorf, in Krems nach dem selben Muster ein 35-Jähriger aus Krems-Stein. Bekannt wird zudem ein Fluchtversuch einer Insassin aus Schwarzau, sie nutzt ebenfalls einen Spitalsbesuch in Wiener Neustadt zur Flucht. In Wien entwischt ein Häftling bei einer Behandlung im AKH. Erst am Freitag bestätigt das Justizministerium zudem zwei Fluchtversuche eines Häftlings Anfang Oktober und ebenfalls im November – mehr dazu in Häftling bei zwei Fluchtversuchen gestoppt (noe.OF.at; 1.12.2023).
Sicherheitsvorkehrungen verschärft
Das Justizministerium wies auf Anfrage von noe.ORF.at darauf hin, dass „medizinische Eskorten bis auf Weiteres nur unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen“ durchgeführt werden. Es gebe eine schriftliche Anweisung an alle Justizanstalten, dass bei Eskorten die Arme hinter dem Rücken gefesselt werden sollen. Am 15. November habe man bundesweit eine Schwerpunktaktion in 21 Justizanstalten durchgeführt und dabei zahlreiche Hafträume durchsucht. Dabei wurde nach Gegenständen gesucht, die zur Vorbereitung von Fluchten genutzt werden können, hieß es aus dem Ministerium.
Ausbrüche aus dem Gefängnis und Fluchten bei Außenterminen sind aber die Ausnahme. Im Jahr 2022 wurden bundesweit 37.900 sogenannte bewachte Eskorten durchgeführt, 17 Häftlinge sind bei Arbeiten oder Terminen außerhalb des Gefängnisses geflüchtet, zwei Häftlingen gelang die Flucht aus dem geschlossenen Bereich der Justizanstalt.
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