In vielen westlichen Gesellschaften nimmt die sexuelle Aktivität seit Jahrzehnten ab. Für Österreich konnte aufgrund fehlender Erhebungen dieses Phänomen bislang nur vermutet werden. Nun haben Wissenschafterinnen und Wissenschafter der Karl-Landsteiner-Privatuniversität in Krems erstmals eine umfassende Untersuchung zum Sexualverhalten in Österreich durchgeführt: Zwischen September und Oktober 2022 wurden 2064 repräsentativ ausgewählte Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer über ihr Sexualleben befragt.
Die Daten ergeben, dass Menschen in einer Beziehung im Schnitt einmal pro Woche Sex haben, Singles im Schnitt einmal pro Monat. Allerdings unterscheidet sich die Häufigkeit je nach Altersgruppe und Geschlecht stark. Frauen haben ihre sexuell aktivste Zeit zwischen 18 und 34 Jahren, 51 Prozent der Frauen in diesem Alter gab an wöchentlich oder öfter Sex zu haben. Bei Männern dagegen beginnt die sexuelle Blütezeit etwas später mit 25 Jahren. 44 Prozent der 25- bis 34-Jährigen gab an wöchentlich oder öfter Sex zu haben.
Dafür sind Männer im Alter häufig noch sexuell aktiver als Frauen. Während noch 39 Prozent der Männer zwischen 65 und 69 Jahren angaben wöchentlich oder öfter Sex zu haben, sind es bei den Frauen im gleichen Alter nur 15 Prozent. Zudem gab in dieser Altersgruppe jede zweite Frau an überhaupt keinen Sex in den vorangegangenen zwölf Monaten gehabt zu haben, bei den Männern hatte lediglich jeder Vierte keinen Sex in zwölf Monaten.
Junge Frauen haben größte Sehnsucht nach mehr Sex
Erhoben wurde von den Wissenschafterinnen und Wissenschaftern außerdem, wie zufrieden die Menschen mit ihrer sexuellen Aktivität sind. „Wir haben festgestellt, dass die Menschen nicht so viel Sex haben, wie sie gerne hätten“, sagt die Psychologin Juliane Burghardt, die die Studie leitet.
Insgesamt 45 Prozent der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer gaben an, in den vorangegangenen zwölf Monaten weniger Sex gehabt zu haben als gewünscht. Dem gegenüber stehen nur drei Prozent, die angaben, mehr Sex gehabt zu haben als sie sich gewünscht hätten. Bei Singles war die Unzufriedenheit naturgemäß höher als bei Menschen in einer Partnerschaft (56 Prozent bei Frauen, 63 Prozent bei Männern). Dennoch gaben auch 31 Prozent der vergebenen Frauen und 48 Prozent der vergebenen Männer an, dass sie gerne mehr Sex hätten.
Die größte Sehnsucht nach mehr Sex herrscht demnach unter Single-Frauen zwischen 25 und 34 Jahren, 74 Prozent hätten gerne mehr Sex. Bei den Männern sind es besonders häufig Singles zwischen 55 und 64 Jahren, die sich mehr Sex in ihrem Leben wünschen, 69 Prozent gaben an für ihre Bedürfnisse zu selten Sex zu haben.
Auch Masturbation und Oralverkehr nehmen ab
Was den Forscherinnen und Forschern fehlt sind allerdings Vergleichszahlen zu früher. Dennoch kann man davon ausgehen, dass die Häufigkeit von Sex auch in Österreich abgenommen hat, meint Burghardt. Denn international entsprächen die für Österreich erhobenen Werte dem globalen Schnitt.
Bei der Unzufriedenheit mit der sexuellen Aktivität liege man etwa ähnlich wie zum Beispiel Großbritannien, und das obwohl sich der Umgang mit Sexualität hier wie dort in den vergangenen Jahrzehnten deutlich liberalisierte. „Interessanterweise haben die Menschen nicht nur weniger Sex, sondern sie masturbieren auch weniger und haben weniger Oralverkehr“, so Burghardt.
Handy hemmt Intimität
Die Wissenschafterin glaubt, dass der zunehmende Konsum digitaler Medien für den seltener werdenden Sex verantwortlich ist. Anstatt die Aufmerksamkeit dem Partner oder der Partnerin zu schenken, würden viele Menschen viele Stunden am Handy verbringen. „Wenn wir die ganze Zeit Textnachrichten schreiben, dann haben wir einfach keine Lust mehr, uns unserem Partner auf intime Art und Weise zu nähern“, sagt die Psychologin.
Dazu komme, dass Menschen, die sehr lange an ihrem Handy spielen, häufig schlecht schliefen, erklärt Burghardt: „Das ist sicherlich auch ein Problem, dass die Leute einfach zu müde sind für Sex.“
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Smartphone als Lustkiller: Wer viel Zeit am Handy verbringt, hat erwiesenermaßen weniger Sex
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Das Handy stört die Aufmerksamkeit gegenüber dem Partner oder der Partnerin…
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… durch die Ablenkung fehlt die notwendige Intimität für Sex.
Teilnehmer für Folgestudie gesucht
Dabei galt das Smartphone durch sein vielseitiges Angebot an Dating Apps lange Zeit als Türöffner für mehr Sex, insbesondere für Singles. „Insgesamt sieht es nun aber nicht danach aus“, zieht Burghardt eine erste Bilanz. „Viele erleben dabei sehr viel Frustration und finden dann doch nicht den oder die Richtige“, so die Psychologin.
Um die genaue Wechselwirkung von Handy und Sexualität bestimmen zu können, fehlen allerdings noch wichtige Daten. Diese soll eine aktuell laufende Folgestudie der Karl-Landsteiner-Privatuniversität liefern. Gemessen wird darin, wie genau die am Handy verbrachte Zeit mit der sexuellen Aktivität zusammen hängt. Teilnehmerinnen und Teilnehmer beantworten darin nicht nur wie häufig sie Sex haben, sondern können der Universität über eine App auch Messungen zur Bildschirmzeit zur Verfügung stellen.
Die Ergebnisse hätten dadurch eine wesentlich objektivere Aussage als eine reine Befragung, sagt Burghardt, und sind damit für die Wissenschaft von großer Bedeutung. Alle Daten werden anonym übermittelt, Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden noch gesucht.
Viele Sozialkontakte führen zu mehr Sex
Den meisten Sex haben übrigens Menschen mit vielen Sozialkontakten. „Direkter, persönlicher Kontakt scheint sehr wichtig für den Menschen zu sein“, meint Burghardt: „Man lebt erwiesenermaßen länger, gesünder und glücklicher und hat offensichtlich auch mehr Sex.“ Den Grund dafür sieht Burghardt in der Evolution: Der Umgang mit vielen Menschen hätte früher vor allem Schutz vor Gefahren bedeutet.
„Das gibt uns ein ganz natürliches Gefühl von ‚Da ist jemand da‘“, erklärt Burghardt, was wiederum zu einer höheren Intimität und einer gesteigerten sexuellen Aktivität führe. „Der Kontakt über das Handy kann das nicht in gleicher Weise ersetzen“, schildert die Psychologin: „Selbst Videokontakte nicht, weil wir nicht dieses gleiche Gefühl von ‚Jemand ist bei uns‘ haben“, so die Studienleiterin.
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