Im MAMUZ-Museum im Schloss Asparn an der Zaya (Bezirk Mistelbach) liegen die Schädel von vier der beim Massaker von Schletz vor 7.000 Jahren getöteten Menschen: zwei Frauen, ein Kind und ein Mann. Gemeinsam mit dutzenden weiteren Skeletten wurden die vier Personen zwischen 1983 und 2005 auf dem Gebiet des heutigen Schletz geborgen. Seither rätselt die Wissenschaft, was damals genau geschah.LinearbandkeramikEpoche der Jungsteinzeit von ca. 5.500-5.000 v. Chr. In diese Zeit fällt die Entstehung erster bäuerlicher Verbände in Mitteleuropa. Werkzeuge waren aus Holz und Stein geschaffen, Metallverarbeitung noch nicht erfunden.
„Die Verletzungsmuster entsprechen eindeutig für stumpfe Gewalteinwirkung. Das heißt, es wurde mit Keulen oder mit derartigen Pfeilen sehr wild auf die Opfer eingeschlagen“, erklärt der wissenschaftliche Leiter des MAMUZ, Franz Pieler. Und noch etwas fällt auf: Die DNA der Skelette ist unterschiedlich. „Die Menschen, die hier erschlagen wurden, sind nur zu einem sehr geringen Teil miteinander verwandt“, erklärt Pieler. Es handle sich also nicht, wie bisher angenommen, um einen für die Zeit typischen großen Familien-Clan, meint Pieler.Flucht nach SchletzWissenschafterinnen und Wissenschafter des MAMUZ, der Universität für Weiterbildung Krems, der Montanuniversität Leoben, der Universität für bodenkultur (Boku), des Naturhistorischen Museums und der Landessammlungen Niederösterreich wollen nun herausfinden, wer die Menschen waren, die in Schletz getötet wurden. „Wir wissen: Schletz war ein zentraler Ort, allerdings wissen wir nicht, wofür genau der Ort zentral war“, sagt Projektleiter Jakob Maurer. Schletz sei damals eine große Befestigungsanlage gewesen. Platz für 1.000 Personen soll sie geboten haben.
Die Archäologinnen und Archäologen glauben, dass Schletz eine Art „Fluchtburg“ für die Einwohnerinnen und Einwohner der umliegenden Siedlungen gewesen ist. Notwendig könnte das geworden sein, weil die Zeit der Linearbandkeramik nicht unbedingt friedlich verlaufen ist. Die Epoche der Linearbandkeramik – benannt nach den linienartigen Verzierungen auf den Keramikprodukten – beginnt mit einer geringen Bevölkerungsdichte im Weinviertel.Mit der Zeit nahm sie jedoch zu und das könnte Konflikte geschürt haben, meint Maurer: „An den Skeletten gibt es Hinweise auf Mangelerscheinungen, was zumindest wahrscheinlich Hinweise auf zumindest phasenweise Nahrungsmittelknappheit gibt.“ Möglicherweise führte das zu Allianzen unter den Siedlungen und zum Bau der Wehranlage in Schletz.
Noch fehlt den Forscherinnen und Forschern ein exakter Überblick darüber, wo genau die Siedlungen rund um Schletz lagen. Hinweise gibt es jedoch viele: Bis heute werden Keramikscherben und Steinbeile an die Oberfläche getragen. Das Forscherteam geht daher regelmäßig Äcker ab, unter denen sie Spuren von jungsteinzeitlichen Siedlungen vermuten. Rund 30 Citizen Scientists unterstützen dabei. In Reihen gehen sie die Flächen ab und alles, was ihnen ins Auge sticht, wird aufgehoben, markiert und auf Karten dokumentiert.
Sobald die Siedlungsgrenzen feststehen, sollen Bodenproben genommen werden und mit Spuren auf den Knochen vergleichen werden. So wollen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter herausfinden, ob die Menschen aus den jeweiligen Ortschaften stammten und ob Schletz tatsächlich als Fluchtburg genutzt wurde.Kriegstrupps möglicherweise aus Weinsteig und PoysdorfSelbst wenn: Genutzt hat ihnen die Fluchtburg wohl nicht, wie man heute annehmen kann. „Das wirklich Einzigartige bisher am Fundort Aspern ist, dass die Truppen danach mehr oder minder sich selbst oder der Natur überlassen wurden und liegen geblieben sind“, erklärt Pieler. Die Leichen dürften nicht begraben worden sein, davon zeugen Bissspuren von Tieren an den Knochen. Pieler geht davon aus, dass ein Kriegstrupp aus den damals großen Nachbarorten Weinsteig (Bezirk Korneuburg) oder Poysdorf (Bezirk Mistelbach) Schletz überfallen hat.
„Wir können annehmen, dass es eine relativ große Gruppe gewesen ist, die sich getraut hat, so ein großes Ziel überhaupt anzugreifen“, erklärt Pieler. Die Kriegsführung selbst war brachial: Mit Steinbeilen wurde den meisten Opfern der Schädel eingeschlagen.
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